Behörden: Luftraumverletzung, Zuschrift aus Pilot und Flugzeug
Gepflegte Paranoia
Ein 1.670 Pfund (757 kg) schweres Flugzeug legt die amerikanische Hauptstadt Washington lahm. Ganze 20 Minuten nach dem
Einflug der 152er in die ADIZ um die US-Hauptstadt steigen Hubschrauber, Businessjets und Kampfflugzeuge auf. Das Flugzeug wird zur Landung gezwungen, die Medien nehmen Anlauf zur
verqueren Sensationsberichterstattung. Selbst die Redaktion von ARD-Aktuell schafft gekonnt den Bogen von dem Flugzeug über Washington zum Terror im Irak. Falls sich noch irgendjemand für
die Fakten interessiert, hier wären einige...
Wahnhafte Störungen (Paranoia) - Definition
Die Paranoia ist definiert durch eine zunächst isolierte, langsam progrediente Entwicklung eines systematisierten Wahns
bei erhaltener Klarheit des übrigen Denkens, des Wollens und Handelns. Es können verschiedenste inhaltliche Wahnausrichtungen entstehen wie Beziehungswahn, Eifersuchtswahn oder
Verfolgungswahn. Von Paranoia Betroffene halten sich selbst meist nicht für krank und die Behandlung erfolgt deshalb überwiegend auf Veranlassung von Angehörigen. Verordnet werden sowohl
geeignete Psychopharmaka als auch eine Psychotherapie. Die Heilungschancen sind umso größer, je früher die Krankheit erkannt und behandelt wird. (Quelle: Sozialmedizin II, Skriptum der
Fachhochschule Vorarlberg, Dr. Roland Wölfle)
Die ADIZ rund um Washington.
Die Anmoderation von Tagesthemen-Sprecherin Anne Will muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Die Dame trägt mit
Grabesstimme vor: “Das Weiße Haus und das Kapitol in Washington wurden geräumt weil ein Flugzeug in den gesperrten Luftraum über der Stadt eingedrungen war. Nach einer Viertelstunde
konnte Entwarnung gegeben werden, anders als im Irak...”
Nicht nur, dass ein absoluter Non-Event es als Aufmacher in die Hauptnachrichten schafft, man stellt auch gekonnt den
Bogen zu wirklichem Terror und politischer Gewalt im Irak her. Das hätte George Bush gefallen! Schließlich ist das diffuse vermischen von tatsächlichem Terror (hier gegen die Iraker) mit
allen möglichen Ängsten und Zwangsvorstellungen (hier auf die Allgemeine Luftfahrt bezogen) eine sehr erfolgreiche Strategie der Desinformation im politischen Tagesgeschäft der USA. Nicht
umsonst glauben inzwischen mehr als 40% der Amerikaner, Saddam Hussein hätte was mit dem 11. September am Hut gehabt (bei den Zuschauern von Fox-News sind es schon 62%!).
Diese Verquirlungs-Taktik ist anscheinend so erfolgreich, dass nun selbst die stolze ARD mitmarschiert. Was um alles in
der Welt hat bitte ein 757 kg schweres Flugzeug, dass offensichtlich einem Navigationsfehler unterlag, mit den Bomben und Toten im Irak zu tun? Ist die ARD inzwischen übergeschnappt?
Aber damit nicht genug. Auch im Beitrag der ARD-Redakteurin Christiane Meier wird höchst großzügig mit den Fakten
umgegangen.
Schlampig und vollständig unrecherchiert ist der Bericht der ARD zu diesem Thema, nicht nur bei den Einblendungen. Die
bloße Behauptung einer Bedrohung wird von der ARD unkritisch übernommen.
“Genau wie am 11. September hielt ein Flugzeug auf das Regierungsviertel zu” erklärt uns Frau Meier, zu den Bildern von
rennenden Menschen. Spätestens jetzt gehe ich die Wände hoch: Mit dem 11.09.2001 hat dieser Vorgang nichts, aber auch gar nichts zu tun! Hätten die Terroristen im September 2001 doch nur
die berühmte “Cessna” zur Hand genommen, dann wäre außer ein paar Scheiben nicht viel zu Bruch gegangen. Viele meiner New Yorker Banker-Kollegen wären noch am Leben und an das Datum würde
sich heute kein Mensch mehr erinnern. Die Terroristen nahmen aber voll getankte Linienflugzeuge für ihren Anschlag. Mit den Vorgängen des gestrigen Tages hatten diese Ereignisse wirklich
nichts zu tun. Hier eine Parallele zu ziehen ist journalistisch unverantwortlich!
Auch wäre ein Pilot, der Finsteres im Schilde führt, durch den hektisch und öffentlichkeitswirksam in Szene gesetzten
Aktionismus der Behörden keineswegs aufgehalten worden. 20 Minuten dauerte es von der Luftraumverletzung, bis der erste “Black-Hawk” Helikopter die Räder vom Boden bekam. In dieser Zeit
hatte es selbst die gemächliche 152er bis auf wenige Meilen ans Weiße Haus geschafft. Eine (im Flug kaum zu unterscheidende) Cessna 210 hätte die rund 48 NM von der ADIZ-Grenze bis zur
Hauptstadt-Ranch des US-Präsidenten dagegen leicht in 20 Minuten zurückgelegt.
Zwangsvorstellungen über die Allgemeine Luftfahrt
Die zwanghafte Fokussierung auf die Allgemeine Luftfahrt, die – mangels Masse und Zuladung – nachweislich keine Bedrohung
darstellt (zum Vergleich: mein Polo Bj. 2004 wiegt voll beladen satte 1.640 kg, eine 152er dagegen lediglich 757 Kilo!), muss als gesellschaftliches Phänomen unserer Zeit angesehen
werden. Mit Fakten oder Risikopotentialen hat all dies nichts, aber auch gar nichts zu tun.
Der geplante Flug führt von Smoketown, PA nach Lumberton, NC.
Nachdem dann noch der ewig griesgrämige Scott McClellan in dem erwähnten TV-Beitrag mit einem Forscher der
Brookings-Institution verwechselt wurde, wird dem braven Zuschauer zwar via Offtext noch schnell gesagt, was er von all dem zu halten habe: “mit der amerikanischen Angst vor dem Terror
kann die Regierung Bush noch immer fast alles durchsetzen”, durch die vollkommen unkritische Übernahme der (von wem eigentlich?) in die Welt gesetzten Analogie einer verfranzten Cessna
zum 11. September, wird aber genau diese Angst geschürt. Nur diesmal auch bei uns.
Eine realistische Einschätzung was wir da eigentlich gesehen haben, nämlich ein Kleinflugzeug, dass vom Kurs abkam und das
selbst bei einem direkten Aufschlag auf dem Kapitol kaum ernstlichen Fassadenschaden angerichtet hätte, bekommt der Zuschauer nicht.
Otto S. verwandelt die Steilvorlage der Medien
Wie eine gut orchestrierte Propaganda kommt dagegen als Nummer Eins im Nachrichtenüberblick der allseits um unsere
Sicherheit bemühte Otto S. und erklärt die Anti-Terror Gesetzte (welche eigentlich?) sollten beibehalten werden. Kritische Nachfrage? Fehlanzeige. Besser hätte das Karl Rove auch nicht
hinbekommen.
Die Fakten
Für die, die noch an einer an objektiven Kriterien ausgerichteten Berichterstattung interessiert sind. Halten wir fest
(Quelle: US AOPA, The New York Times, Federal Aviation Admistration):
* Um 11:28 Uhr LCL verletzt eine Cessna 152, Registrierung N5826G ohne Freigabe den Luftraum der ADIZ um Washington und Baltimore. An Bord sind Jim Schaeffer und Troy Martin, zwei Mitglieder eines Fliegerclubs aus Pennsylvania. Jim Schaeffer ist Inhaber einer Privatpilotenlizenz (VFR) und sein Begleiter ist Flugschüler.
Das Flugzeug befindet sich auf einem 353 NM langen VFR-Flug von Smoktown, PA (S37) nach Lumberton, NC (KLBT).
* Um 11:47 Uhr startet ein Hubschrauber und eine Citation 550 der amerikanischen Heimatschutzbehörde auf dem Flughafen Washington National (KDCA)
* Um 11:55 Uhr erlangen die beiden Behördenflugzeuge Sichtkontakt zur Cessna 152. (Anmerkung: Bis dahin hatte der Pilot der 152er 27 Minuten Zeit im Luftraum über der US-Hauptstadt zu tun und zu lassen was er will!)
* Um 11:57 Steigen auch zwei F16 der US-Luftwaffe von der Andrews Air Force Base (KADW) auf.
* Um 12:02 Uhr beginnt die Evakuierung des Kapitols. Die Volksvertretung der mächtigsten Nation der Erde flieht vor 757 kg genietetem Aluminium.
Das Pentagon entscheidet zur gleichen Zeit, dass Gewicht, Geschwindigkeit und Flugweg der Maschine nur ein minimales Risiko darstellen und verzichtet auf eine Evakuierung.
* Um 12:24 Uhr verlässt die Cessna das Flugbeschränkungsgebiet.
* Um 12:38 landet die Maschine auf dem Frederick Municipal Airport, in Frederick Maryland (KFDK).
Das war´s. Ein Pilotenfehler. Ein unendlich dummer noch dazu. Lächerlich und außerdem alltäglich.
Phil Boyer von der US-AOPA im Dauereinsatz gegen die irrwitzigen Vorstellungen der Medien von der AL.
Unermüdlich sind Phil Boyer und die amerikanische AOPA danach im Einsatz im Gespräch mit Medienvertretern und Redaktionen
die immer abstruser werden Vorstellungen der Journalisten zu diesem Thema zu korrigieren. Die vom Weg abgekommene 152er verdrängt dennoch für diesen Abend die Todesnachrichten aus dem
Irak aus sämtlichen amerikanischen Hauptnachrichtensendungen. Auch in der ARD schafft es der Non-Event auf Platz Eins!
Mehr zum Thema Medien und Luftfahrt in der Juniausgabe von Pilot und Flugzeug.
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